Viel Neues in der Hauptstadt Berlin

Unglaublich, aber wahr. Zehn Restaurants mit drei Sternen, 38 mit zwei Sternen und 261 mit einem – 309 Restaurants hat der Guide Michelin somit in Deutschland ausgezeichnet. Damit ist Deutschland nach Frankreich die zweitstärkste kulinarische Macht in Europa.

Die Spitzengastronomie in Berlin

In Berlin ist die Spitze der Gastronomie heiß umkämpft. Und auch die Österreicher sind vorne dabei. Ich treffe Willi Schögl in seiner Weinbar „Freundschaft„. Ein Glaserl Sauvignon Blanc vom Tement in der Hand, hinter ihm ein Porträt vom ehemaligen Kanzler Bruno Kreisky: „Wir trinken hier auf die deutsch-österreichische Freundschaft!“, lacht der steirische Weinfreak mit Geschäftssitz in Berlin.

(c) Freundschaft

200 österreichische Weine werden in der „Freundschaft“ in Berlin-Mitte von ihm und Compagnon Johannes aus Salzburg ausgeschenkt. Für Berliner Nachtschwärmer (und die, die schon am frühen Abend unterwegs sind) gibt’s auch österreichische Schmankerl: Leberkäse vom Fleischhauer Urban aus St. Johann im Pongau, einen Rindfleischsalat mit Kernöl und Beef Tatar vom steirischen Ochsen. „In Berlin tut sich so viel, die Szene hier ist sicher die dynamischste im ganzen deutschen Sprachraum“, sagt der Bar-Chef. Da hat er recht, der Willi. 

Auf dem Weg zum dritten Stern

Das Nummer-1-Restaurant in Berlin war sofort nach dem Lockdown auf Wochen ausreserviert. Marco Müller vom „Rutz“ hatte, nur wenige Tage bevor alles zugesperrt wurde, den dritten Michelin-Stern bekommen. „Ich war mit meiner Familie beim Frühstück, als eine Pariser Nummer auf meinem Handy aufleuchtete“, erzählt er. „Als die mich über den dritten Stern informiert haben, hab‘ ich mich schon sehr geehrt gefühlt, dann sind mir die letzten 30 Jahre des Kochens durch den Kopf gegangen!“ Und jetzt will natürlich jeder Berliner den ersten Dreisterner der Hauptstadt verkosten. 

32 Gäste passen unter den neuen Abstandsregeln rein und genießen sein Menü „Natur & Aromen“. Bachforelle und Saibling kommen aus seinen zwei Fischteichen und stammen, genauso wie die Hühner, aus eigener Zucht, und für Salat und Gemüse wurde ein Gewächshaus an der Havel gebaut. Nicht zu vergessen: Sogar der Honig ist selbst gemacht, zwei Bienenstöcke nennt er sein Eigen. Zu Tisch kommt die Quellforelle mit Lardo, Karfiol und Wacholder und das Weidehuhn mit speziellen Pilzaromen. Dazwischen Ochsenherztomate mit Kalbskopf‚ Salzwiesenlamm mit Bärlauch und nachher Rhabarber mit reiner Ziegenmolke. Ja, der Marco Müller versteht sich vor allem auf den Mix von Aromen, auf unterschiedliche Fermentations- und Garmethoden. Manchmal sind bis zu zehn winzige Zutaten auf dem Teller – und alles passt, ist ein Teil des Geschmackserlebnisses. 

Wie andere Kollegen, nicht nur in Berlin, hat er sich jetzt ein Zweitrestaurant, das alte Zollhaus (jetzt „Rutz Zollhaus“) an der Havel zugelegt. Dort gibt es zünftige Regionalküche von der Neuköllner Blutwurst mit Kartoffelpüree bis zur geschmorten Ochsenschulter mit Sonnenblumenkernen und Liebstöckel. Im Weingarten wird die größte Auswahl an ostdeutschen Weinen zelebriert – und das ist tatsächlich ein Erlebnis. Wer hätte gedacht, dass Grauburgunder vom Tultewitzer Berg (Saale-Unstrut) und Blauer Zweigelt vom Kaatschener Dachsberg (Sachsen) wirklich hervorragende Tropfen sind. Chef Hendrik Canis strahlt ob des Lobes.

restaurant rutz
(c) Rutz

Weiter auf dem Berliner Gastropfad zu Tim Raue

Weiter auf dem Berliner Gastropfad, natürlich zu Tim Raue, der während des Lockdowns ein Fine-Dining-Catering aufgebaut hat (Name: „Fuh Kin Great“) und jetzt wieder mit seiner asiatisch inspirierten Küche in Kreuzberg auftrumpfen kann. Spitzkohl mit Beeren, der Ikarimi-Lachs mit Tomate, die japanisch inspirierte Schweinshaxe und das Kalb mit Shiso-Kraut, von ihm selbst serviert. „Ich bin in der höchsten Höhe angelangt, aber ich glaub, ich hab das Ende meiner Möglichkeiten erreicht. Jetzt wird’s schön langsam abwärts gehen“, philosophiert er beim Digestif. Also, vom Abwärtsgang ist nichts zu bemerken und der Mietvertrag ist gerade erst weitere zehn Jahre verlängert worden, trotz Corona. Keine Angst also, die Berliner verlieren sobald weder ihn noch seine großartige Küche. 

restaurant tim raue
(c) Tim Raue

Was den Tim so sympathisch macht – ich weiß, ich bin da befangen –, ist seine „Normalität“. Trotz des großen Erfolges ist er der „Junge aus Kreuzberg“ geblieben, spricht mit jedem Gast, macht Selfies („das ist heute eine neue Währung, damit muss man umgehen können“) und freut sich über jeden, der ihm sagt, wie sehr es ihm geschmeckt hat. Auch er hat natürlich ein Zweitrestaurant, die „Villa Kellermann“ in Potsdam (übrigens gemeinsam mit TV-Star Günther Jauch, dem das Haus gehört). Dort gibt’s Königsberger Klopse und „viele andere Gerichte, die ich von meiner Großmutter kenne“. 

Etwas verrückt und ungewöhnlich kommt das „Nobelhart & Schmutzig“ um die Ecke daher. Billy Wagner, der Ex-Sommelier und jetzige Chef, hat eine riesige geschwungene Theke bauen lassen, an der die Gäste – natürlich mit gesetzlicher Abstandsregel – die 14 kleinen Gänge konsumieren können. Sehr gemüselastig, aber auch für Nichtvegetarier spannend. Roggen/Kräuter, Kohlrabi/Koriandersaatöl, Ei/Lindenblätter – und nur zum Radieschen gibt’s eine Miniportion Reh. Alle Zutaten kommen aus der Gegend, die Produzenten sind namentlich angeführt. Und wer Dienstag und Mittwoch bucht, zahlt ein Drittel weniger als Donnerstag, Freitag und Samstag, wo der Andrang größer ist. Gar keine schlechte Idee. „Wir müssen diese Corona-Krise als Chance begreifen, und vielleicht kommen wir sogar gestärkt da raus – mit mehr Bewusstsein für gute Lebensmittel und mehr Liebe zur lokalen Produktion“, betont er sein Credo. 

Die junge Riege von Berlin

restaurant einsunternull
(c) einsunternull

Was in Berlin spürbar ist, und das heben auch die Stars Müller, Raue und Wagner hervor, ist das Heranwachsen einer talentierten Riege von jüngeren Köchen, die die Gastrotour durch die Hauptstadt zum Erlebnis machen. Meine Tipps zum Ausprobieren: der Österreicher Sebastian Frank im „Horváth“ mit seiner pannonischen Küche (Spezialität: die im Salzteig gereifte Sellerieknolle wie Trüffel über Nudeln gerieben), Max Strohe im hippen „Tulus Lotrek“ (die Damen im Service im gleichen Dress wie dahinter die Tapete), Silvio Pfeufer im „einsunternull“ (wo man seit Corona nicht mehr – nomen est omen – im Keller, sondern zu ebener Erde sitzt). Was alle eint: gemütliches Ambiente, Holztische, trotzdem hervorragendes Essen, manchmal gewagt, meist auf überraschend hohem Niveau.

Die großen Küchen der Welt sind alle mit Spitzenrestaurants vertreten. Im „Kin Dee“ isst man wie in Thailand, im „Kochu Karu“ wie in Korea und im „Hotspot“ gibt’s die beste chinesische Küche inklusive einer sensationellen Weinkarte. Nahöstliches findet man im „Layla“ vom israelischen Starkoch Meir Adoni, der nach Tel Aviv und New York in Kreuzberg sein drittes Lokal eröffnet hat.

Original Berliner Küche

restaurant kin dee
(c) Kin Dee

Und wo bleibt das echte Berlinerische, die „original Berliner Küche“? Na ja, sagen wir’s einmal ehrlich, so großartig war’s um die Kulinarik in Berlin nie bestellt. Da dominierte eher Handfestes und Rustikales. Bei meinem ersten Berlinbesuch vor einigen Jahrzehnten bin ich noch zu Heini Holl nahe dem Kurfürstendamm gepilgert. Dort gab es die besten Krautrouladen, fast armdick. Oder ein riesiges Eisbein, bei uns unter „Schweinshaxe oder -stelze“ bekannt. Ganz gut, aber nix für die Diät. Der Heini Holl ist zwar tot, aber seine Küche lebt noch weiter. Zu verkosten am besten im „Zur letzten Instanz“ an der Spree, im angeblich „ältesten Lokal von Berlin“, immerhin soll sich dort schon 1621 eine Branntweinstube befunden haben. Oder bei Radke’s Gasthaus Alt-Berlin, schon seit 35 Jahren um die Ecke vom KaDeWe, wo man die Kohlroulade von anno dazumal „in Gedenken an Promi-Wirt Heini Holl“ offeriert. 

Ein Lokal darf nicht fehlen: Das "Borchardt"

Aber ein Lokal, das es zu weltweiter Prominenz gebracht hat, darf in einem Berlin-Führer nicht vergessen werden. Im „Borchardt“ am Gendarmenmarkt trifft man nach wie vor die meisten VIPs, von Angela Merkel bis George Clooney. Von der liebsten Konsumation ihres Promi-Klientels, dem billigen Riesling von Künstler (der hat auch gute Weine!) und dem frittierten Schnitzel (frittiert ist frittiert, das schmeckt man!), rate ich eher ab und empfehle den Rully und das Steak Tatar, beides wirklich erstklassig. Auch weil der liebenswerte Service in Berlin seinesgleichen sucht. Wenn ich dann nach einer Tour-de-Force durch die Berliner Gastronomie in mein Hotel zurückschlendere, bin ich beschwingt und zufrieden. Ick steh halt auf Berlin!

restaurant borchardt
(c) borchardt

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