Le Bistro, mon amour!
Ein Wegweiser durch die neuen Bistros von Paris. Die jungen, teils auch wilden Chefs pfeifen auf Michelin-Sterne. Sie kochen innovativ, köstlich und erschwinglich.
Es sind nur ein paar Schritte
vom Centre Pompidou zur kleinen Rue de Nil, Fußgängerzone, Kopfsteinpflaster, rechts und links kleine Läden und Restaurants. In der Mitte ein unscheinbarer Eingang, oben die goldene Tafel mit dem Aufdruck „Frenchie“. Seit zwölf Jahren residiert hier der Mittelpunkt der neuen französischen Küche, der „Bistronomy“. Denn die Zeit der alten, berühmten französischen Küche mit dicken Saucen und hohen Preisen, mit steifen Tischdecken und Smoking-Kellnern ist vorbei. „Casual Dining“ heißt der internationale Begriff für das, was der Wiener „gemütlich essen“ nennt und nirgendwo hat sich der Trend so stark durchgesetzt wie in der ehemals so traditionellen Pariser Gastronomie. Die jungen, manchmal auch wilden Chefs pfeifen auf Michelin-Sterne und setzen auf eine innovative und gleichzeitig erschwingliche Küche.
Greg Marchand hatte lange in London gearbeitet und sich dort ob seiner Herkunft den Spitznamen „Frenchie“ eingehandelt. In besagter Rue de Nil übernahm er ein kleines Bistro, taufte es genauso, nämlich „Frenchie“, und ist bis heute in der Bistro-Szene führend. „Es ist komisch, auch hier in Paris nennen mich alle Frenchie, das wird mich ein Leben lang begleiten!“ sagt Greg zu mir, während er einen kleinen Teller mit Kalbstatar samt geräuchertem Aal, Zucchini und Haselnuss an den Tisch bringt. „Ich habe schon viele Angebote gehabt, weitere Bistros aufzumachen, aber das will ich nicht. Der Laden hier gehört mir und meiner Frau. Ich brauche keine Investoren und will auch keine Kette daraus machen“. Wer seine richtungsweisende neue Bistroküche verkosten will, muss eben in die Rue de Nil kommen – für Foie Gras mit Kresse und Chutney, den Heilbutt mit Muscheln, Erbsen und Bohnen, den Lammrücken mit Linsen und Zucchini und natürlich zum Abschluss für die Käseplatte und/oder die Tarte mit roten Früchten und Sauerampfer-Eis.
Die Neo-Bistro Kultur
Noch früher als „Frenchie“ hat Yves Camdeborde mit den Neobistros angefangen. Um den Gästen das Warten auf einen freien Tisch in seinem „Le Comptoir“ am Place de L’Odeon zu erleichtern, hatte er daneben zwei Mini-Bistros aufgemacht, „L’Avant Comptoir de la Terre“ und „L’Avant Comptoir de la Mer“. Wie die Namen unschwer erahnen lassen, gibt es da Fleisch und dort Fisch. Kleine, aber feine Portionen wie Foie Gras, Ochsenbäckchen, Chicken Wings oder Austern Bloody Mary – alles zum Preis von fünf bis 15 Euro pro Portion. Der Hit am Rande: Bei allen Comptoirs werden Dutzende Weine glasweise ausgeschenkt – und zwar wirklich hervorragende. Der Erfolg seiner Bistros ist so groß, dass Chef Yves jetzt ein weiteres Bistro in den neuen Markthallen eröffnet hat. Und ein dritter Name war am Erfolg der Neobistros von Anfang an beteiligt: Inaki Aizpitarte, ein Baske, der Popstar unter den jungen Wilden.
Das Karpisek-Imperium
Im „Chateaubriand“ dröhnt Rock aus der Küche, die Kellner sind meist bärtig und tragen trendige Tattoos –aber das, was beim 5-Gänge-Menü (es gibt nur ein Menü, nix à-la-carte) auf den Tisch kommt, kann sich sehen und vor allem schmecken lassen, wenn man etwas abenteuerlustig ist: der Heilbutt kommt mit Rhabarber und das Kirscheis mit getrockneten Kapern. Zumindest eine Woche voraus reservieren ist ein Muss und wer keinen Platz bekommen hat, der wird zwei Häuser weiter geschickt, in die Dependence, das „Dauphin“. Dort bin ich eigentlich noch lieber als im Stammlokal. Denn Rockmusik genieße ich lieber live und zu hippen Bärten und Tattoos ist meine Beziehung enden wollend. Das „Dauphin“ gibt sich ungezwungen und lässig. Man sitzt auf Hochstühlen, wird nicht zu irgendeinem Menü gezwungen, sondern kann aus je zehn Vor- und Hauptspeisen wählen und der ganze Tisch verkostet die Bestellung. Nur bei den Weinen heißt es aufpassen. Fast alle sind Naturweine bis hin zu Orange, das ist nicht für jeden Geschmack (für meinen, ehrlicherweise, weniger).
Weiter in der Bistro-Hitparade
Bertrand Grebaut hatte vorher im berühmten 3-Sterne-Restaurant „Arpège“ gearbeitet, bevor er sich selbstständig gemacht hat, um seine neue Bistro-Küche den Parisern vorzuführen. Sein „Septime“ war sofort der In-Platz der Feinschmecker, bis heute ist es verdammt schwer, kurzfristig einen Platz zu ergattern. Dort serviert er sieben Gänge um 95 Euro, vom Kalbstatar mit geräuchertem Hechtkaviar bis hin zum Bries mit Steinpilzen, einfach großartig. Wer keine Reservierung hat, sollte sein Zweitlokal, das „Clamato“ gleich nebenan, besuchen. Dort dreht sich die kulinarische Welt nur um Seafood: Ich empfehle die Platte mit Krabbe, Seeigel, Muscheln, Austern, dann Karfiol mit Aal und nachher einen ganzen Seabass mit Sauce Béarnaise.
Seit zwei Jahren
ist ein neuer Trend in die Bistro-Welt eingezogen, französisch-asiatisch! Vorreiterin war die Philippinin Tatiana Levha mit ihrem „Le Servan“ im 11. Arrondissement. Zu verkosten gibt es bei ihr unter anderem Spezielles wie Entenherzen mit süßem Chili und Wontons gefüllt mit Blutwurst. Am besten ist die Melange zwischen französischer Küche und asiatischen Aromen dem Japaner Sota Atsumi geglückt. Nur ein paar Straßen weiter serviert er im „Maison Sota“ aus der offenen Küche im ersten Stock eines gutbürgerlichen Vororthauses Exzeptionelles: Tuna mit Sellerie, Seeteufel mit Foie Gras, Taube mit Datteln. Vorsicht – momentan hat die Maison für Renovierungen geschlossen, aber ab Ende Jänner geht es wieder weiter, also bitte vormerken! Und noch was Neues gibt es im Bistro-Trubel von Paris zu entdecken. Vor oder nach dem Besuch des Eiffelturms (dort bitte nix Essen, alles überteuert!) schlendert man bei „Arnaud Nicolas“ vorbei. Der frühere Metzger hat sich auf Pasteten spezialisiert – und die sind ein Traum: Pâté von Wachtel, Schwein und Gänseleber mit getrockneten Früchten, Pâté mit Geflügel und Crevetten, Terrine Grand Mère mit Huhn und eingelegtem Gemüse und und und. Drei der zwölf Pâtés mit einem klassischen Rhum-Baba- Dessert kosten 28 Euro, da kann man nicht meckern. Aber keine Aufzählung der Pariser Bistros ist komplett ohne die Legenden, die originale, typische Bistrokost servieren. Nicht leicht und innovativ, eher schwer und deftig – aber halt genau das, was man sich bis zum Entstehen der Neo-Bistros von dieser klassischen Pariser Lokalität erwartet. Im „Paul Bert“ oder im „L’Ami Jean“ gibt es ein ganzes Hendl in der Casserolle oder einen Kaninchenrücken in der Senfsauce oder einfach Steak Frites, comme-il-faut.
Am liebsten wandere ich
aber vom Centre Pompidou zwei Straßen weiter ins „Benoit“. Typischer und besser gehts nimmer, schließlich hat Alain Ducasse diese Institution einst vor dem Konkurs gerettet und das Bistro-Erbe bewahrt: Beef Tatar, natürlich handgeschnitten, Blutwurst, Kalbskopf mit Sauce Ravigote (Essig, Öl, Kapern, Zwiebel, Estragon), ein Beef Tenderloin mit gratinierten Makkaroni. Nachher einen Marc der Bourgogne oder Provence, und der Magen ist wieder in Ordnung. Aber bei aller Euphorie über die Bistros muss ich die p.t. Leser/innen noch auf das kulinarische Ereignis des Jahres in Paris aufmerksam machen. Die Giganten Alain Ducasse und Albert Adria (der wegen der Pandemie seine Restaurants in Barcelona zusperren musste) haben unter dem Namen ADMO eine Pop-Up-Küche im Chirac-Museum am Quay Branly aufgemacht. 100 Tage, also bis Anfang März, tischen sie neue Kreationen aus der französischen und der spanischen Küche auf. Glauben sie mir, besser wird es nimmer – unbedingt jetzt schon reservieren, auch wenn es erst 2022 an die Seine geht.
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