Das neue Prag: Fine Dining und viel Bier

Fast ein Jahr lang war Prag nicht die „Goldene Stadt“ sondern sozusagen die geschlossene Stadt, mit einer Inzidenzrate gegen 1.000 mehr oder weniger unerreichbar. Keine Einreise, keine Ausreise möglich, alle Lokale geschlossen – der Wochenendausflug oder der Dienstbesuch in der tschechischen Hauptstadt waren abgesagt. In der Zwischenzeit hat sich Tschechien mit einer zweistelligen Inzidenzrate zum Musterland entwickelt und alles ist wieder offen. Diese Gelegenheit muss man beim Schopf packen, in Pandemiezeiten weiß man ja nie genau, wie es weitergeht. Also auf nach Prag, nicht nur wegen Wenzelsplatz und Karlsbrücke, sondern auch wegen der neu erblühten Kulinarik.

Prag

Zu Besuch bei unseren böhmischen Freunden

Drei Restaurants rittern derzeit um die Spitzenposition bei unseren böhmischen Freunden. Ich fang mit meinem persönlichen Liebling an. Im „U Mateje“, zehn Minuten von der Innenstadt entfernt, tischt „MasterChef“ (den Titel gewann er bei der größten TV-Kochshow) Jan Punčochář traditionelle tschechische Küche auf, aber in einer sehr modernen Umsetzung. Beim Eingang links geht’s ins normale Lokal und man darf sich auf gebackenen Karpfen, eine Hasenterrine, geräucherte Rindsripperln mit Sauerkraut und Meerrettichsalat freuen.

Wer rechts abbiegt, gelangt in das persönliche Esszimmer des Chefs, das er „Stul-JP“ nennt – also „Stul“, auf deutsch Tisch, mit seinen Initialen drangehängt. Denn dort in einer offenen Küche steht er für zwölf privilegierte Gäste persönlich am Herd und bietet ein individuelles Menü an. „Worauf haben Sie heute Appetit?“ hat er mich gefragt und mir dann ein großartiges Entenconfit mit Kohlrabi serviert. Das nenne ich wahre Gastfreundschaft. Aber Achtung, das macht er nur Dienstag bis Freitag und bei zwölf Plätzen ist eine Reservierung unumgänglich.

(C) U Mateje
Field
(C) Field

Ein anderer Gewinner der MasterChef TV-Serie, Radek Kasparek, hat sein Lokal mitten in der Altstadt aufgemacht und sogar einen Michelin-Stern bekommen. Im „Field“ verwendet er nur Fleisch, Fisch und Gemüse aus dem regionalen Umfeld. Die Forelle kommt mit Lardo und Buttermilch, der Stör mit Kohlrabi und Brombeeren, das Spanferkel mit kleinen Zwiebeln und Calvados – man merkt, Kasparek’s Köche (er selbst ist leider mehr im Fernsehen als im eigenen Restaurant anzutreffen) haben Mut zu außergewöhnlichen Kombinationen.

Ein paar Straßen dahinter, im „Le Degustation“, geht man noch einen Schritt weiter. Der Kopf hinter dem Konzept hat in Österreich gelernt. Tomáš Karpíšek war in den Neunziger-Jahren zuerst im Wiener Modul, dann im Stubaital und hat nach der Heimkehr mehr oder weniger im Alleingang die tschechische Küchenrevolution eingeleitet. Er lässt drei oder fünf originelle Gänge servieren – zum Beispiel Karfiol mit Trüffel, Saibling mit Zucchini, die Ente mit roten Rüben und Lakritze. Dazu eine hervorragende Weinbegleitung oder für den, der das mag, ein „Juice Pairing“ mit Säften von Gurke und Karotte, Kraut und Kohlrabi. Der Chef selbst steht schon länger nicht mehr in der Küche, da er neben dem Flagship-Lokal ein Imperium von insgesamt 17 Lokalen unter seine Fittiche genommen hat – vom einfachen Kaffeehaus bis zur erfolgreichen Bierlokalkette. Aber davon später mehr.

Eine fulminante neue Restaurant-Kultur

(C) The Eatery

Unter dem Fine-Dining-Triumvirat hat sich in Prag aber auch eine fulminante neue Restaurant-Kultur entwickelt. Angetrieben von jungen Chefs, die – dem Beispiel von Karpíšek folgend – nach ihren internationalen Wanderjahren der neuen tschechischen Küche zuhause zum Durchbruch verholfen haben. In der „Eatery“ steht Pavel Bycek an der offenen Küche am Ende des Speisesaals (Beton mit Industrie-Chic) und kocht typisch böhmische Küche mit unverkrampfter Originalität: Hendl mit Karfiol-Püree, Lamm mit Grünkohl, Rind mit Pilzkroketten – aber auch Klassiker wie der Karpfen mit geräucherten Paprika oder die Rinderzunge mit Krensauce. Nur beim Service könnten sie in der „Eatery“ noch zulegen, damit beim Öffnen der Prosecco-Flasche der Sprudel im Glas und nicht auf Tisch oder Hose des Gastes landet.

Das Karpisek-Imperium

(C) Eska

In einem riesigen Kino- und Warenhauskomplex hat sich das „Eska“ aus dem Karpisek-Imperium angesiedelt – und ist trotz der Location einen Besuch wert. Da wird frisches Brot gebacken, wahrscheinlich das beste in der Hauptstadt. Die Küche wiederum ist ein bisschen skandinavisch orientiert, viel Fermentiertes, von Kohl bis zu Chicorée und Fenchel. Wirklich empfehlen kann ich den geräucherten Fisch mit Kartoffeln in Asche oder das Reh mit Auberginen-Chutney. Anders originell gibt sich das „Kuchyn“ neben dem Eingang zum Hradschin, dem Prager Schloss, wo bekanntlich altösterreichische Diplomaten aus dem ersten Stock geworfen wurden (auf diesen „Prager Fenstersturz“ sind unsere tschechischen Nachbarn heute noch stolz). Im „Kuchyn“, schon wieder ein Karpisek-Betrieb, gibt’s Hausmannskost für Neugierige. Auf dem großen Küchenofen stehen die Töpfe, Deckel anheben, begutachten, was drin ist und aussuchen, was man serviert haben will. Ein Riesenspaß, wenn sich das halbe Wirtshaus um die zehn Töpfe drängelt, um sich zwischen Schweinsbraten, Hühnerbrust und Fleischlaberl zu entscheiden.

Aber natürlich möchte man bei allen Trends zur Leichtigkeit und Modernität auch eine echte böhmische Küche genießen und beim Kalorienzählen aussetzen. Zwei Adressen – persönlich inspiziert – darf ich empfehlen. Mitten am Altstädter Ring im „Mincovna“ trifft man trotz zentraler Lage kaum auf Touristen und kann unbelastet von heimischen Dialekten zwischen den böhmischen Klassikern wählen: Eine ordentliche Schweinsstelze, eine knusprige Ente oder eine Gans mit Rotkohl – und dazu darf das Bier in Strömen fließen, wir sind ja in Prag. Ähnlich im „Zvonice“, einem Restaurant im Jindřišská Turm, gleich um die Ecke vom Wenzelsplatz. Dort sitzt man malerisch direkt neben den alten Glocken (keine Angst, die läuten nicht mehr!) und bestellt am besten die originale Sauerkrautsuppe.

Endlich sind wir beim Bier gelandet!

(C) U Pinkasů

Endlich sind wir beim Bier gelandet, ich bin ja der Meinung, dass es keinen Platz auf der Welt gibt, wo das Bier besser schmeckt als in Prag (meine deutschen Freunde müssen das bitte entschuldigen). Die Auswahl an Wirtshäusern und Biergärten ist riesengroß, daher die notwendige Hilfestellung. Vermeiden Sie unbedingt die Touristenfallen, wie z.B. das Schwejk-Lokal „U Kalicha“, vor dem die Touristenbusse zu Dutzenden parken. Lieber ein echtes Bierbeisl besuchen – zum Beispiel das „U Pinkasů“, wo angeblich 1843 das erste Pilsner Urquell gezapft worden ist. Ähnlich das „U Fleků“, Brauerei und Restaurant gleichzeitig, wo zu hellem und dunklem Bier im Gewölbekeller Kartoffelsuppe und Gulasch kalorienmäßig den Magen füllen. Moderner geht’s im „Dva Kohouti“ zu, das erst vor zwei Jahren geöffnet hat. Heller und freundlicher als in den alteingesessenen Läden kann man tagtäglich zwischen acht verschiedenen Zapfbieren wählen, idealer Ort für eine Bierverkostung.

Eine Eloge ans neue Prag hab‘ ich jetzt geliefert – mit einer großen Träne im Knopfloch. Gerade in dem kulinarischen Bereich, wo Böhmen und Mähren mal tonangebend waren, rührt sich gar nix. Ich meine natürlich die Mehlspeisen. Palatschinken, Mohn-Nockerln, Powidltaschkerln, Marillenknödel, das alles gibt’s im angrenzenden Österreich heute weit besser als dort, wo es erfunden wurde. Da kann sich die neue tschechische Küche noch verbessern. Ist doch auch gar nicht so schwer, die jungen Köche müssten doch nur auf die Rezepte ihrer Großmütter oder Urgroßmütter zurückgreifen…

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