Die Neuen von Berlin

Nirgendwo im deutschsprachigen Raum hat sich in den letzten Jahren kulinarisch so viel getan wie in Berlin. Da ich derzeit beruflich oft in der Hauptstadt weile, kann ich Euch ein ganz genaues Bild davon machen.

Alt begehrt, hoch verehrt!

Meine Berliner Lieblinge: Max Strohe, der Koch, und Ilona Scholl, seine Frau, die für den Service verantwortlich ist. Nirgendwo fühle ich mich wohler als in ihrem „Tulus Lotrek“, seit ich Woche für Woche in der deutschen Hauptstadt zu tun habe.

Anfangs war es ein Geheimtipp von Freunden: „In der Fichtestraße zwischen Landwehr-Kanal und Tempelhof kannst du neue deutsche Küche mit internationalen Einsprengseln, aber vom Feinsten, finden“, schwärmten sie, und auch ich war begeistert. Acht Gänge liefert der Max aus der Miniküche – derzeit Jakobsmuschel mit Karotte, Steinbutt mit Sauerampfer, Kalbsbries mit Bärlauch, Lammzunge mit jungen Erbsen, Safraneiscreme – dazu eine perfekte Weinbegleitung von der Ilona.

Genießerherz, was willst du mehr?

(C) Tulus Lotrek
(C) Tulus Lotrek

In der Pandemie-Zeit haben sich Max und Ilona samt ihrem Lokal neu erfunden: geschmackvolle, bodenständige Holztische, auf denen mit Kreide die Namen der Gäste gemalt sind. Originelle Tapeten, übrigens mit dem gleichen Blumenmuster wie die Uniform des Personals.

Zwischenzeitlich hat Chef Strohe nicht nur viel Zeit für neue Kreationen gehabt („Jeder Teller ist ein Experiment“), sondern ist im deutsch-sprachigen Raum dank seines Sieges in der TV-Produktion „Kitchen Impossible“ bekannt geworden – der sympathische Strohe hat gegen den provokanten Tim Mälzer gewonnen. Das hat gut getan.

Der Urknall in der Hauptstadt

Das bescheidene, aber qualitativ hochstehende „Tulus Lotrek“ war sozusagen der Urknall der jungen deutschen Küche in der Hauptstadt. Denn, das behaupte ich mit Nachdruck, nirgendwo im deutsch-sprachigen Raum hat sich in den letzten Jahren kulinarisch so viel getan wie in Berlin – vielleicht gar nicht trotz, sondern wegen der Pandemie und der notwendigen Rückbesinnung auf Qualität und neue Ideen für eine anspruchsvolle Kundschaft abseits der reinen Sterne-(Un-)Kultur.

Casual Dining“, also Essen auf gehobenem Niveau, aber ohne weiße Tischtücher und steife Oberkellner, dafür gemütlich und mit Wohlfühlfaktor – das ist nicht nur in Berlin ein Trend. Und der wird nicht mehr so leicht umzukehren sein. Beispiele gefällig? Sehr gerne.

Aus der „Cordobar“, der österreichischen Weinbar mit Anspielung auf Hans Krankls Fußball-Triumph gegen die Deutschen, ist nach einem Streit der Inhaber das moderne „Cordo“-Restaurant entstanden.

(C) CORDO Berlin
(C) CORDO Berlin

Noch immer unter Ösi-Führung, aber mit Yannick Stockhausen, einem jungen deutschen Koch, an der Spitze. Der auch, aber nicht nur das wahrscheinlich beste vegetarische Menü der Hauptstadt liefert: Lauch, Rauchmandel, Schwarzkohl, Rettich, Sauerampfer, Wirsing, Knollensellerie, Kerbelwurzel – ich habe es ausprobiert, sogar für einen bekennenden Omnivoren wie mich ein Erlebnis.

Übrigens: Auch die österreichische Weinbar gibt es nach wie vor. „Freundschaft“ heißt sie jetzt, hat zwischen „Unter den Linden“ und der Friedrichsstraße aufgesperrt und bietet neben großartigen Weinen auch Leberkäse und ein richtig gutes Gulasch an – wenn es Chef Willi am Wochenende nicht zu kochen vergessen hat.

Auf zur neuen Kreativklasse!

(C) NoName Berlin

Zweimal um die Ecke vom „Cordo“ hat sich das „NoName“ angesiedelt. Mit dem Zusatz „no limits, no boundaries“, was sich wohl auf die Streetartobjekte beziehen soll, die im Lokal quasi eingebettet sind. Unter anderem eine quer durch den Raum hängende, gefesselte Dame, angeblich ein Ebenbild der Muse des Eigentümers.

Doch das Menü ist weniger kinky und doch erstklassig. Vom Stör mit Wirsing, der Kalbszunge mit Kren, der Lammrippe mit schwarzem Knoblauch bis zum Rhabarber mit roter Bete werden sechs großartige Gänge um 89 Euro serviert. Und die sind tatsächlich ein Erlebnis, für die Feinschmecker wahrscheinlich ein größeres als die Ansicht der hoffentlich aus eigenem Antrieb gefesselten Frau.

(C) Remi

Das neue Bistro „Remi“ ist nur hundert Meter weiter, gleich neben der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Der Holländer Stijn Remi hat dort sein Zweitlokal aufgemacht – rundherum Glas und in der Mitte eine offene Küche. Und die Speisen lassen sich sehen und genießen: gegrillte Makrele mit Kohlrabi, pochierter Heilbutt mit Grünkohl und ein Huhn mit Tomate und Kopfsalat.

"Auf das Wesentliche reduziert"

(C) Faelt Berlin
(C) Faelt Berlin

 Das ebenfalls recht junge „Faelt“ in Schöneberg macht ein bisschen auf nordisch, also „Produkte, auf das Wesentliche reduziert“, wie Küchenchef Max Kockot seine Philosophie beschreibt. Auf der Speisekarte heißt das dann knapp Apfel & Jalapeno, Lamm & Paprika, Rhabarber & Topfen – und schmeckt auch so: einfach, klar, die kulinarischen Widersprüche ergänzen einander blendend, muss man zugeben.

Ein wenig verspielter geben sich zwei weitere Sterne am Berliner Kulinarikhimmel. Im alt-bürgerlichen Charlottenburg auf der anderen Seite der Hauptstadt hat Arne Anker mitten in der Pandemiezeit ein neues Restaurant eröffnet. Zuerst gab es Corona-bedingt nur Außer-Haus-Essen, jetzt wird im geschmackvollen Ziegelwand-Ambiente für 30 Gäste live aufgetischt. Matjes, Spargel, Schweinebauch, Rhabarber – klingt ein wenig wild, schmeckt aber.

Klein & gemütlich

Länger schon bei der kulinarischen Klientel begehrt ist das frankophile „Bricole“ beim Prenzlauer Berg: klein, gemütlich und seit Neuestem sogar mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet.

BRICOLE BERLIN
(C) Bricole

„Wir wollen einfach einen intimen, vielleicht sogar romantischen Rahmen für ein schönes Abendessen liefern“, sagt Co-Chef Fabian Fischer beim Eintreffen und lässt den Worten Taten folgen: Saibling mit Apfeleis, Kabeljau mit Spitzkohl, Perlhuhn mit Wirsingroulade und eine Käseplatte wie in Paris. Wunderbar, wenn man endlich einmal wieder mit Frau oder Mann einen schönen Abend verbringen, in angenehmer Atmosphäre plaudern und sich aufs Neue verlieben kann.

Eine spezielle Neuentdeckung möchte ich künftigen Berlin-Besuchern auch nicht vorenthalten. Gleich neben dem erfolgreichen österreichischem Sternekoch Sebastian Frank im „Horvárth“ hat sich am Paul-Linke-Ufer ein Peruaner angesiedelt. Gemeinsam mit seiner spanischen Frau Carlotta betreibt er das „Lila“.

LILA
(C) Lila

„Vor zwei Jahren bin ich nach Berlin gekommen und habe das hier aufgemacht“, zeigt er sein Shabby- Chic-Lokal mit dem langen Tresen und zehn Tischen. „Aber nach vier Monaten mussten wir wieder zusperren wie alle anderen auch.“ Jetzt hofft Omar, dass er seine grandiose Nikkei-Küche – also peruanisch-japanische Küche mit Ceviche, Tuna-Tataki, Octopus, Jakobsmuschel und Hamachi – ohne Lock-out-Probleme servieren kann. Und das alles zu zivilen Preisen, was auch die kleine, aber spannende Weinkarte betrifft.

Ja, es tut sich etwas in der deutschen Hauptstadt. Der neue kulinarische Höhenflug in Berlin ist tatsächlich einen Besuch wert. Da kann man als Wiener nur staunend zusehen und mitessen. Und hoffen, dass dieser Trend auch irgendwann die Heimat erreichen wird.

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