Das neue Deutschland
Ich bin von München nach Köln sowie Düsseldorf und weiter nach Hamburg getrampt. Was ich in den vielen neuen Restaurants vorgesetzt bekommen habe, begeisterte mich rundum. Mein Urteil: Mut in der Pandemie zahlt sich offenbar aus!
Alles Schlechtes hat was Gutes!
Auch nach ein paar Jahrzehnten München kann sie ihren Vorarlberger Dialekt nicht verbergen. „Alles Schlechtes hat was Gutes!“, lacht Sigi Schelling aus Hittisau im Bregenzerwald. Mitten in der Corona-Pandemie hat sie in München ein neues Feinschmeckerlokal aufgesperrt: „Alles auf eigenes Risiko, aber Gott sei Dank mit Erfolg!“ Sigi war über viele Jahre hinweg die rechte Hand von Küchenchef Hans Haas, dem Tiroler im legendären „Tantris“.
Während seine Nachfolger jetzt „französln“, um der Michelin-Abteilung zu imponieren, kocht sie nun im „Werneckhof “ beim Englischen Garten seine Küchenlinie weiter: bodenständig-modern, maximal drei Komponenten und nur beste Grundprodukte. Die Familie hilft dabei, vom Bruder bezieht sie das Fleisch, vom Cousin die Hühner und die Eier vom Kristallhof, ebenfalls aus dem Bregenzerwald.
Auf den Tisch kommen dann Entenleberterrine mit Mango und Banane, Saibling im Limonenfond und Fenchel, Lammkotelett mit Artischockenpüree und Basilikumöl, ein Topfensoufflee mit Rhabarber und Passionsfruchteis. Und für eingefleischte Haas-Fans wie mich serviert sie auch seinen berühmten Kalbskopf auf Ciabatta, großartig.
„Wir waren vom ersten Tag an voll!“, freut sich die Sigi. Kein Wunder, ein Gutteil der Klientel sind Ex-Tantris-Stammgäste, die eine neue kulinarische Heimat gefunden haben. Mut zahlt sich halt aus, vielleicht gerade in den komplizierten Zeiten der Off-On-Pandemie.
Die Mutigen vor dem Vorhang
Und deshalb will ich heute die Mutigen bei unseren deutschen Nachbarn vor den Vorhang holen. Nach Osten kann man derzeit nicht reisen, in Asien sind die Pandemie-Einschränkungen zum Teil noch immer drastisch, und auch Richtung Amerika, Nord und Süd, ist die Reiselust eingeschränkt oder durch
Videocalls ersetzt worden. Nach München und Köln, nach Hamburg und Berlin trampen wir aber wieder. Deshalb die Frage: Was gibt es Neues trotz oder –hoffentlich – nach Corona?
Bleiben wir in München, da hat sich eigentlich am meisten getan. Im „Atelier“ im Bayrischen Hof hat Drei-Sterne-Koch Jan Hartwig gekündigt, er eröffnet demnächst sein eigenes Restaurant „Jan“ in der Luisenstraße.
Aber auch sein Nachfolger im „Atelier“, Anton Gschwendtner, macht seine Sache hervorragend. Er war übrigens bis vor drei Jahren Chefkoch im Wiener „Loft“ des Hotels Sofitel und hat für seine französischasiatisch inspirierte Küche schon zwei Michelin-Sterne ins „Atelier“ zurückgeholt. Eine weitere Neueröffnung hat in München für Furore gesorgt.
Der Deutsch-Japaner Tohru Nakamura tischt seine exzellente Cross-over-Küche – zum Beispiel Jakobsmuschel mit Shiitake-Sülze, Wachtel mit Koshihikari (japanischem Reis) – in der „Schreiberei“ gleich neben dem Marienplatz auf. Allerdings mit Münchener Höhenrekord, das Menü um satte 245 Euro …
Deutlich billiger, aber trotzdem hervorragend isst man im neuen „Gabelspiel“ im Giesinger Süden oder im „Mural“ im MUCA (Museum für Urban Art, unbedingt vorher anschauen). Beide eigentlich noch Geheimtipps, nichts wie hin, bevor alle auf den Geschmack kommen.
Neuer Genuss in der Domstadt Köln
Auch in der Mitte Deutschlands, genauer gesagt in Köln, hat sich eine Köchin getraut, trotz Corona neue Wege zu gehen. Julia Komp, die kulinarische Weltenbummlerin, musste kurzfristig ihr erstes eigenes Lokal, den „Lokschuppen“ im Mülheimer Hafen, wegen der Pandemie zusperren. Jetzt steht sie wieder am Herd, in ihrem neuen „Sahila“ in der Innenstadt. Was sie auf ihren Reisen zwischenzeitlich entdeckt hat, serviert sie jetzt für die rheinischen Fans: Tom-Kha-Gai-Suppe mit Hummer und Lotus aus Thailand, Shakshuka (versunkene Eier) in Tomatensauce und Paprika aus Tunesien, Oktopus mit Chili und Koriander aus Peru, Rindsfilet mit Mojo und Mais aus Spanien und als Dessert „Goldene Milch“ mit Kurkuma und Honig aus Indien.
Eine echte Bereicherung für die sonst nicht sonderlich kreative Kulinarik in Köln. Damit die Qual der Wahl erhalten bleibt, noch der Hinweis auf zwei weitere kulinarische Schwergewichte in der Domstadt, die die Pandemie ohne qualitativen Aderlass überstanden haben. Das „maiBeck“ am Rheinufer bietet deutsche Bistroküche vom Feinsten, und im „Weinlokal Heinzhermann“ hinterm Bahnhof findet man eine, man ahnt es, hervorragende und auch erschwingliche Weinkarte samt großer Küche vom Sternelokal „Maximilian Lorenz“ unter dem gleichen Dach.
www.maximilianlorenz.de
+49 22 137999193
Ja, und wir dürfen auch nicht den großen Rheinrivalen Düsseldorf vergessen. Das „Phoenix“ im historischen Dreischeibenhaus hat für seine moderne Brasserie-Küche (das rheinische Himmel-und-Äd als Blutwurst-Ravioli mit Apfelchutney) verdienterweise einen Stern bekommen, und beim gemütlichen „Dr. Kosch“ kann man zwischen Yellow Submarine (marinierte Makrele mit Champignons und Onsen-Ei) und Australian Samurai (Wagyu-Beef mit Shiso-Spinat und Kerbelwurzel) wählen.
Auf in die Hafenstadt!
Jetzt aber ab in den Norden auf unserer deutschen Newcomer-Reise. Zwei Restaurants bieten sich für den p. t. Feinschmecker an: An erster Stelle steht ein halber Österreicher, Matteo Ferrantino, der zuvor beim Vorarlberger Dieter Koschina an der Algarve und beim Südtiroler Roland Trettl (derzeit als Showmaster auf Vox zu sehen) im Salzburger „Hangar 7“ gearbeitet hat.
Das „Bianc“ in der Hafencity hat knapp vor der Pandemie aufgemacht. Chef Matteo ist mediterran unterwegs, scheut aber kein Risiko. Im „Emotion“-Menü serviert er Anchovis mit Burrata und Schwarzfederhuhn mit Tuna, aber irgendwie schmeckt es. Gleichzeitig mit Chef Matteo hat Kollege Maurizio Oster das kulinarische Zepter im feinen, aber unprätentiösen Bistro „Zeik“ (richtig, Kiez umgekehrt!) übernommen, mit Schwerpunkt auf regionale, norddeutsche Produkte.
Man fühlt sich wohl im „Zeik“ und auch beim schnörkellosen Menü: Schwarzwurzel mit Haselnuss, Forelle mit Grünkohl, das Huhn mit Bohnenkraut – und zum Abschluss weiße Schokolade mit Petersilie, glauben sie mir, dass schmeckt trotz (oder vielleicht wegen der) Petersilie. „Bei uns halten wir nicht viel von Kochmission und einem Verzehrgerüst, das dem Gast auf den Teller gepresst wird. Essen gehen muss Spaß machen!“, lautet das Credo im „Zeik“ und hebt sich damit wohltuend von einem anderen Neustarter in Hamburg ab, dem „100/200“ an den Elbbrücken.
Dessen Gastgebern, Sophie und Thomas, ist das unerwartete Küchenlob offensichtlich in den Kopf gestiegen: „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!“, verkünden die beiden dreist auf ihrer Homepage. „Eine Anpassung des Mahls ist nicht möglich!“ Dazu die schnoddrige Info, dass zwölf Euro Wasserpauschale zusätzlich auf die Rechnung kommen, auch wenn ich heut gar keine Lust auf Wasser verspüre. Nein danke, das muss ich nicht haben. 14 Neuentdeckungen, die Spaß machen und eine Enttäuschung – gar keine schlechte Bilanz für Deutschlands Westen. Und falls Ihnen Berlin abgegangen ist: Darüber berichte ich das nächste Mal…
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